Sonntag, 27. November 2011

Indien – die tägliche Achterbahnfahrt zwischen Himmel und Hölle


Nach dem Abschied von Adrienne und Boris, die direkt nach Südindien flogen, nahmen wir die Landeshauptstadt Neu Delhi etwas genauer unter die Sonnenbrille. Wir durften mit einem ehemaligen Strassenkind durch die Hintergassen der Stadt spazieren und er zeigte uns eindrücklich auf, wie die heutigen Strassenkinder Neu Delhis ihren Lebensalltag meistern und versuchen, über die Runden zu kommen. Wenn sie nicht in der Prostitution landen, verdienen sie ihr Geld oft damit, recyclierbaren Abfall zu sammeln. So können sie pro Tag bis zu 4 Fr. verdienen, was in Indien bereits ein Heidengeld ist. Auf unsere Frage, was er denn damals mit dem Geld gemacht hat, antwortete er: „Ich habe mir Essen gekauft und dann das Kino besucht“.
Nach der chaotischen Stadt Neu Delhi reisen wir nun durch den Staat Rajasthan, der berühmt für seine wunderschönen Paläste und Forts ist. Diese Festungen auf Hügeln oder in der Wüste sind tatsächlich sehr imposant und in dieser Umgebung kann man sich gut die vergangene Blütezeit der Maharadschas vorstellen. Bei der Besichtigung der Bauwerke haben wir eine neue Liebe entdeckt: die Audio-Guides. Bewaffnet mit Kopfhörern und Abspielgerät nutzten wir wenn immer möglich dieses coole Angebot, flätzten uns gemütlich in eine Palastecke und hörten den spannenden Erzähl-, Erklär-, Darstell- und Schilderungen der Männer und Damen in unseren Ohren zu. Halt wie früher der Trudi Gerster im Märli-Telefon in der Bank Linth oder im Sonnenhof-Schuhladen. Der bisherige Höhepunkt in Rajasthan war ein zweitägiger Kameltrip in der Thar-Wüste. Uns schmerzt zwar noch immer etwas der Hintern, die Übernachtung unter freiem Himmel, mitten auf Sanddünen, hat jedoch locker dafür entschädigt.
Unterwegs sind wir meistens mit dem Zug. Die Bahn-Infrastruktur hier ist sehr gut ausgebaut (ein löbliches Vermächtnis der ehemaligen britischen Kolonialmacht) und man kann die Sitz- oder Liegeplätze bequem im Internet vorreservieren. Dummerweise sind die begehrtesten Plätze oft mehrere Wochen im Voraus ausgebucht, was uns leider manchmal dazu zwingt, auf den Bus umzusteigen.
Das Reisen in Indien ist wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle. An den einen Tagen haben wir super Gespräche mit Indern, die sich für unser Leben in der Schweiz interessieren und uns ihre Weisheiten verraten. Dieses Hochgefühl wird dann jedoch oft wieder zunichte gemacht von schlechten Erfahrungen mit Abzockern, wenn Abmachungen nicht eingehalten werden oder einfach durch das offensichtliche und oft belästigende „Angestarrt-werden“ (oder sogar „Fotografiert-werden“)  beim Spazieren durch die Strassen. Das richtige Einschätzen der Personen und Situation ist für uns daher sehr anspruchsvoll, und wir nehmen bedauerlicherweise oft eine zu kritische oder ablehnende Haltung gegenüber Indern ein, die uns auf offener Strasse ansprechen. Ein Paradebeispiel ist die Begegnung mit einem jungen Inder, für den wir für seine Geliebte in Berlin einen Liebesbrief auf Deutsch verfassten. Als Dank für unsere Übersetzungsdienste lotste er uns in den Juwelierladen seines Kollegen, bot uns Tee an und wollte uns ein Ketteli schenken. Was hättet ihr in dieser Situation gemacht? Diese klassische Touristenfalle (Kollegen-Juwelierladen, mutmassliche Gratis-Geschenke, mögliches Schlafmittel im Tee) machte uns natürlich sehr suspekt und wir waren übervorsichtig in unserem Handeln. Am Schluss hat sich alles als ein aufrichtiges Dankeschön herausgestellt, die Ketteli haben wir jetzt noch am Arm, mussten nichts kaufen und der Tee schmeckte vorzüglich. Einzig der Inder war ab unserem reservierten Verhalten enttäuscht, meinte, wir hätten keine offenen Herzen und fühlte sich persönlich angegriffen, als wir ihm unsere negativen Erlebnisse mit Einheimischen schilderten. Ein anderer Inder meinte in einem Gespräch, dass die Touristen halt total selber schuld sind, so oft abgezockt zu werden, da sie ja „ihr Geld wie Toilettenpapier benützen“. Aus Angst vor negativen Situationen sehe er sie oft „wie Roboter in der Gegend herumlaufen“. Und in seinem Land schauen die Touristen ja oft nur Bauwerke an, als ob sie „mit den Wänden reden könnten“. Daher müssten Reisende doch mit Einheimischen reden, nur so lernen sie das wahre Indien kennen. Wo er recht hat, hat er recht. Und doch ist es nicht so einfach…

Wenns nicht ins Kino geht, dann zu den Spielautomaten - Spielhalle direkt neben einer Abfallabgabestelle, die den Strassenkindern ihr Geld auszahlt

Finde Roger...
Besuch beim Salaam Baalak Trust, einer NGO, die Strassenkinder unterstützt

Beim Moscheenbesuch muss sich Melanie manchmal verhüllen, was dann meistens ziemlich schick aussieht

Alltagsbild in Indien

Lange suchten wir sie, nun endlich gefunden - die Schlangenbeschwörer

Einer der wunderschönen Paläste in Jaipur, der rosaroten Stadt

Das imposante Amber Fort

Blick von der Wüstenfestung in Jaisalmer

Ali und Salim bereiten unseren Zmittag vor

Ein Fotoparadies - die Thar-Wüste

Die Kamele hatten einen ziemlichen Zug drauf...

Die Kehrseite der Wüstenmedaille - in der Nacht ist es saukalt

Freitag, 18. November 2011

Nepalesische Nashörner und indische Stiere

Nach über drei Wochen herumkraxeln im Himalaya, die uns doch einiges abverlangt haben, nahmen wir es die kommenden Tage etwas gemütlicher. Die überraschend nicht-so-holprige-wie-befürchtete Busfahrt nach Pokhara führte uns in dichten Dunst und Nebel, der uns tagelang die Sicht auf das Annapurna-Massiv verwehrte. Unter dieser „Wolken-Glocke“ fühlten wir uns ganz wie zu Hause im Schweizer Unterland. So nutzten wir die Zeit, um all unsere Trekkingsachen in einem 17kg-Paket nach Hause zu schicken. Die Rucksäcke der Frauen haben nun wieder genügend Platz, damit alle Souvenir-Einkaufswünsche erfüllt werden können.
Unsere letzte Station in Nepal war der Chitwan Nationalpark, wo es uns vier zuerst mal mit einer deftigen Magenverstimmung für zwei Tage synchron ins Bett haute. Ein nicht so spassiger Nebeneffekt, wenn man jeweils zu viert das gleiche Essen bestellt. Einigermassen erholt unternahmen wir auf elefantenmässig schaukelnden Elefanten eine Tour durchs Reservat und erspähten das eine oder andere Wildtier. Die Hitliste: 1. Nashorn, 2. Krokodile, 3. Riesenschlange (die sich nicht bewegen konnte, weil sie gerade ein nicht gerade kleines Tier verschluckt hat). Leider nicht auf unserer Liste vertreten: Bengalischer Tiger.
Nach der Safari kamen die Tage der grossen Wahrheit. Wie gefällt uns Indien? Ist es wirklich so unsäglich dreckig, laut, Menschen auf jedem freien Quadratmeter und Horden von Bettlern und Touristenabzockern? Unser momentanes Fazit: Alles Lug und Trug! Klaro, indische Städte sind nicht grüne Oasen der besonnenen Entspannheit, sondern hier geht’s ziemlich ab. Aber wir wurden bis jetzt noch nie von irgendwelchen Horden bestürmt, die meisten Inder akzeptieren ein „Nein danke“ und sooo dreckig ist es nun auch wieder nicht. Wir haben uns daher ziemlich gut eingelebt und starten jeden Tag mit einer grossen Portion Geduld und Entdeckerlust, und dann geht’s „Auf in den Kampf!“.
Die erste Indien-Station war Varanasi, durch das der für Hinduisten heilige Fluss Ganges fliesst. An dessen Ufern werden täglich dutzende von Beerdigungen abgehalten und Tote von ihren Angehörigen auf grossen Scheiterhaufen verbrannt. Nebenan baden tausende von Menschen im Ganges und versuchen sich damit ihre Sünden vom Leib zu waschen. Bei Aussenstehenden rufen diese intimen Rituale natürlich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend hervor. Da sich jedoch alles in Öffentlichkeit und an den belebtesten Plätzen am Flussufer abspielt, kann man ihnen gar nicht aus dem Weg gehen. Eine weitere Eigenheit Varanasis sind die engen Gässlein, die mit etlichen Verkäufern, Pilgern und Altstadt- Einwohnern überfüllt sind. Unter diesen „Einwohnern“ leben auch riesige Kühe, die in Indien ja als heilig gelten und daher regelmässig gefüttert und gehätschelt werden. Das führte ein paar Mal zu ziemlich riskanten Begegnungen mit kräftigen Stieren, die den Vortritt in den z.T. nur zwei Meter breiten Gassen stets für sich beanspruchten. Daher gewöhnten wir uns an, jeweils einen vorsichtigen Blick um die Ecken zu wagen, damit wir nicht zu viel diesen Kraftprotzen gegenüber standen.
Weiter ging die Reise zum Taj Mahal, dem wohl schönsten Bauwerk der Welt. Natürlich waren wir nicht die einzigen Besucher dort und mussten uns mit Ellbogen und bösen Blicken zu den begehrtesten Foto-Standorten vorkämpfen. Hätten wir doch nur einen Stier aus Varanasi dabeigehabt… 


Wunderschöne Holzschnitzereien in Bhaktapur

Friedlich grasendes Nashorn, nicht weit von unserem Hotel entfernt

Flätzendes Krokodil, das mit seinem Schnabel nicht wirklich furchteinflössend ist

Festival-Time in Varanasi - das Ganges-Ufer ist mit tausenden von Butterlampen geschmückt

Boris geniesst (?) eine Handmassage

Varanasi - anscheinend eine der ältesten Städte der Welt

Baden im heiligen Ganges

Exotische Erscheinungen sind in Varanasi an der Tagesordnung

Dumm und dümmer

RoMe macht Pause

Wir, Sonnenuntergangslicht und die Rückansicht des Taj Mahals

Taj Mahal in seiner vollen Pracht