Donnerstag, 29. Dezember 2011

Made in India

Der liebe Alkohol. Aus unserer Kultur nicht mehr wegzudenken, besonders an Festtagen wie Weihnachten oder Silvester. Er geniesst bei der Schweizer Bevölkerung nicht immer den besten Ruf und ist mancherorts sogar ziemlich verpönt, aber zu einem feinen Weihnachtsessen gehört er halt doch irgendwie dazu. Indien hat da eine etwas  andere Mentalität. Hier gibt es Staaten, in denen der Alkohol gänzlich verboten ist. Sogar Fleisch und Eier sind mancherorts schwierig zu kriegen. Den diesjährigen Silvester verbringen wir z.B. in einem Dörfchen, in dem Fleisch und Alkohol untersagt ist. Wir werdens überleben… Verantwortlich für diese Regelungen sind zum einem Religionen wie der Hinduismus oder der Islam. Zum anderen die Regierung, die aus ideellen Gründen an diesen Gesetzen festhält. In Gujarat, dem Heimatstaat Mahatma Gandhis, ist z.B. der Alkoholkonsum verboten, da man damit Gandhi die Ehre erweisen will, der ja Alkohol verachtet hat. Bei uns in der Schweiz gibt’s dafür das Tell-Bier…
Ausser gesundheitsfördernden Gesetzen hat der Staat Gujarat noch viel mehr zu bieten. So liegt dort an der Küste des arabischen Meers ein malerisches Städtchen namens Diu, das bis in die 60er-Jahre eine portugiesische Enklave war und bis heute den Charme der Kolonialzeit ausstrahlt. Alte Kirchen, ein verwinkeltes Altstädtchen, ruhige Strassen (so ruhig, dass wir es seit langem wiedermal wagen konnten, einen Töff zu mieten), verlassene Strände und sogar ein Meeres-Muscheln-Museum. Wir wohnten bei einer portugiesisch-stämmigen Familie und die Siesta wurde in der Stadt ziemlich eisern eingehalten und durchgesetzt. Das andere Extrem stellt Gujarat‘s Hauptstadt Ahmedabad dar. So überfüllt, dass jede Strassenüberquerung einem Computerspiel gleicht, bei dem man direkt auf Level 10 einsteigt. Und natürlich überall Verkehrsstaus. Da die Polizei oft unterdotiert oder einfach lahm ist, springen freiwillige Einheimische in die Presche und versuchen mit herumfuchtelnden Bambusstöcken, die verkeilten Autos und Rikschas in korrekte Bahnen zu leiten.
Zustände, die man in der Metropole Mumbai (früheres Bombay) seit längerem nicht mehr antrifft. Eine prosperierende Wolkenkratzerstadt, in der ausser rigorosen Sicherheitsbestimmungen nichts mehr an die schrecklichen Attentate von 2008 erinnert. Hier ist die grosse Schere zwischen Reichtum und Armut jedoch bestens ersichtlich. Auf der einen Seite Luxusläden, Wohnpaläste und teure Autos, auf der anderen eine Armee von Obdachlosen und der grösste Slum Asiens. Die Slumbewohner drehen jedoch nicht tagein-tagaus ihre Däumchen sondern haben durch ihre beachtliche Anzahl das eine oder andere Business ganz gross rausgebracht. So ist aus Dharavi, dem wie gesagt grössten Slum Asiens, eine riesige Lederverarbeitungs-Industrie gewachsen, die edelste Handtaschen und Handy-Etuis herstellen. Auch ein Grossteil des recyclierbaren Abfalls von ganz Mumbai wird in Dharavi getrennt und weiterverarbeitet. Aus diesen und anderen Geschäftszweigen erwirtschaften sich die Slumbewohner heute einen jährlichen Ertrag von ca. 600 Millionen Fr.
Wohnen durften wir nicht im Slum, sondern bei einem Arbeitskollegen von Papi Walti, der sich gemütlich im hippen Ausgangsquartier Bandra, in direkter Nachbarschaft der grössten Bollywood-Stars, eingerichtet hat. Wir konnten auf die Dienste seines Privatchauffeurs zurückgreifen, wurden zu mehreren Familienessen in der Verwandtschaft eingeladen und lunchten gediegen in einem English-Club (Members only!). Für eine Woche fühlten wir uns wie Könige und verbrachten schöne Weihnachtstage im Kreise einer indischen Familie. Wir versuchten uns für die bemerkenswerte Gastfreundschaft zu revanchieren, jeder mit dem, was er/sie gut kann: Roger mit Klavier spielen, Melanie mit Zopf backen.
Vor ein paar Wochen starteten wir mit einem neuen Abenteuer, das sich „Couchsurfen“ nennt. Da die Blog-Redaktion bereits reklamiert, der Text sei schon wieder viel zu lang, werden wir ein anderes Mal genauer darüber berichten. Ein paar Couchsurfing-Fotos wollen wir euch trotzdem nicht vorenthalten.

 

Sonnenuntergang im arabischen Meer

Melanie ist ein begehrtes Fotosujet für indische Jugendliche und Familien

Kirche aus der portugiesischen Kolonialzeit in Diu

Couchsurfen heisst: Melanie bekommt endlich ihr Henna-Tattoo

Couchsurfen heisst auch: Zusammen kochen in irgendeiner Wohnung in irgendeinem Vorortsquartier

Morgendliches Zähneputzen in Ahmedabad

... und wieder muss Melanie herhalten

Melanie, Roger, Mumbais Skyline und Smog
Auch in Mumbai boomt der Weihnachtsverkauf
Unser Gastgeber Ashwani und Melanie beim Cappuccino trinken im Luxushotel Taj

Mumbais Strände sind leider übersät mit Abfall

Zopf - Made in Switzerland

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